Piano Activities am 1. September 2012 im Wiesbadener Kunstmuseum mit Philip Corner, Alison Knowles,
Ben Patterson, Geoffrey Hendricks, Willem de Ridder,
Eric Andersen
Hannes Waldschütz, Scholz & Volkmer:
Piano Interactivities, Wiesbadener Kunstmuseum
2012
Das Buch ist im Buchhandel oder beim Reimer Verlag erhältlich.
Piano Interactivities
2012 wurden im Wiesbadener Kunstmuseum die legendären Internationalen Festspiele neuester Musik von 1962 mit Ausstellungen, Performances und Vorträgen gewürdigt. Akteure aus der ersten Fluxus-Generation – Philip Corner, Ben Patterson, Alison Knowles, Geoffrey Hendricks, Eric Andersen und Willem de Ridder – führten nach 50 Jahren auch die Piano Acitivities auf, die von einem enthusiastischen Publikum begleitet wurden. Geschichte erweist sich als Umwälzmaschine, die aus Revolte eine museale Reminiszenz macht, Anti-Kunst in Kunst verwandelt und in der Traumata abgearbeitet werden. Die Utopie des freien Spielens, das ein Versprechen von Fluxus in verengter Welt war, konnte sich ein Stück weit realisieren.
Bestätigung lieferte eine Klavier-Installation im Vorraum des Wiesbadener Vortragssaales, in dem ehedem George Maciunas mit seinen Aktivisten die Destruktion zelebrierte. Der Titel der Installation enthält eine Hommage auf die Corner-Komposition und zeigt die neue Zeit hypermedialer Handlungserweiterung an: Piano Interactivities. Die Installation bestand aus einem Flügel, der mit motorgetriebenen Werkzeugen des Leipziger Künstlers Hannes Waldschütz bestückt war: Eine Axt schlug schwer auf die Tastatur, eine Säge zerkratzte den Lack, ein Hammer drosch auf die Saiten ein, ein großer Backstein fiel in das Innere des Instruments. Diese Maschinen blieben allerdings so lange regungslos, bis Internetnutzer auf einer Webseite Steuerungsbefehle eingaben, die an die Installation übermittelt wurden. Per Livestream konnte der Teleakteur seine Komposition verfolgen, die die Werkzeuge aufführten, konnte anschließend das gespeicherte Video wiederholt ansehen und herunterladen oder andere Menschen zu einer Besichtigung am Bildschirm einladen.[1] Kritisch mag man einwenden, dass die Interaktivitätsbehauptung überzogen ist; bei der Installation handelte es sich lediglich um ein reaktives System, mit dem man nicht in einen dialogischen Handlungsaustausch geriet. Dagegen basieren die ursprünglichen Spielanweisungen von Philip Corner auf genuinen Interaktivitätsparametern, denn diese regeln die Wechselbeziehungen mehrerer Spieler, die sich gegenseitig wahrnehmen und in ihrem Verhalten aneinander ausrichten. Trotz des modischen Labels mit Werbecharakter[2] repräsentiert die Installation Grundtugenden von Fluxus: demokratische Nutzbarkeit („selfsufficiency of the audience“[3]), Anti-Professionalismus, Amüsement, Non-Theatralität und Anti-Kommerzialismus. Die Piano Interactivities schließen auf zu einer Zeitgemäßheit, in der die ehedem avantgardistische Exzentrik in den allgemeinen Möglichkeitshorizont einbezogen wird. „Was die Ermächtigungsdynamik auszeichnet“, schreibt Peter Sloterdijk, „ist die Vermassung der vormaligen Avantgardequalitäten und die Übersetzung von einst pathetischer Kreativität in alltägliche Manipulationen von Materialien und Zeichen durch die Angehörigen einer weltumspannenden Design-Zivilisation.“[4]
Bei solchem Geschichtsoptimismus gerät allerdings aus dem Blick, dass die Installation weiterhin ein Thema exponiert, das in den 50 Jahren seit Bestehen von Fluxus kaum an Dringlichkeit verloren hat. Auch wenn es nicht die erste Absicht der Ideengeber der Piano Interactivities war, zum Aspekt der Destruktivität einen künstlerischen Kommentar abzugeben[5], so ist die Installation nicht ablösbar von dieser Problematik. Das Handlungsdispositiv einer distanzierten und damit entkörperlichten zerstörerischen Aktion kann nicht unabhängig von gegenwärtigen Tendenzen der symbolischen Gewalt- wie Realgewaltausübung gesehen werden. Waren es ehedem die passiv zu konsumierenden Performances, in denen Stellvertreter Destruktionen präsentierten, sind es heute die äußerst populären interaktiven Spieleformate (Shooter, Destruction Games), in die Nutzer über Avatar-Technologie als Ausführende eingebunden werden. Rückt der Akteur einerseits in die Rolle des Täters, spürt er gleichzeitig nichts mehr von der Sinnlichkeit der Realität. Nur zu ahnen ist, welche psychische Entlastung und moralische Gefahrlosigkeit durch diese auf pure Zeichenhaftigkeit umgestellte Wirklichkeit gegeben ist. Die Piano Interactivities nehmen nicht nur an der gegenwärtigen ludischen Virtualisierung teil, indem sie Krieger und Künstler miteinander verschmelzen, sie rufen ebenso die weitaus dramatischere Realität des Telekriegs mit ferngesteuerten Aufklärungs- und Kampfdrohnen auf. Die Moral, so der Anschein, hat sich in die Maschine verzogen, in Leitungen und Codes.
Wer das Museum besuchte, konnte erleben, wie das eben noch leblose Klavier plötzlich und unvorhergesehen von den scheinbar subjektlosen Werkzeugen traktiert wurde. Das dunkle Donnern und kalte Hämmern hallte durch das Museum – das zufällig anwesende Publikum für einen Moment in stummer Ratlosigkeit befangen. Ausgeschlossen von der Interaktivität und in unmittelbarer Nähe zum körperhaften Klang wurde der Besucher vom ermächtigten Telenutzer in Erstarrung und Befremden versetzt. Das Spiel bewahrt auch am Ende geschichtliche Kontinuität, indem es die Verbindung zum Krieg hält.
(aus: Gunnar Schmidt: Klavierzerstörungen in Kunst und Popkultur, Berlin: Reimer 2012. Erscheint im Dezember 2012)
[2] Die medientechnische Umsetzung wurde von der Multimedia-Agentur Scholz & Volkmer (Wiesbaden) realisiert.
[3] George Maciunas: Fluxus Art-Amusement (1965). In:
http://www.artnotart.com/fluxus/gmaciunas-artartamusement.html (2012).
[4] Peter Sloterdijk: Das Zeug zur Macht. Bemerkungen zum Design als Modernisierung von Kompetenz. In: Der ästhetische Imperativ, Hamburg 2007, S. 138–166, hier: S. 141.
[5] In den veröffentlichten Stellungnahmen zur Installation finden sich keine Hinweise auf diese Dimension.